2. Schweizer Plastikausstellung im Freien 1958 - das Vorwort vom Präsident Dr.Marcel Joray
Schweizer Plastik im Jahr 1958
Die erste schweizerische Plastikausstellung im Freien fand in Biel im Jahr 1954 statt.Obschon zeitgenössische Werke vorherrschten, war sie doch auch eine Rückschau, denn sie gab eine Zusammenfassung der Bildhauerkunst in unserem Land über die letzten 20 oder 30 Jahre. Die ältesten Werke, geschaffen von Carl Burckhardt, stammten sogar aus den Jahren 1901 bis 1916.
Die zweite Ausstellung von 1958 will einen aktuellen Querschnitt durch die Skulptur geben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden nur von 1954 bis 1958 entstandene Werke angenommen.Unser Wunsch war, die besten Werke aller Stilrichtungen in unparteiischer Weise auszuwählen. In der Jury befanden sich vier Bildhauer, wovon zwei die figurative und zwei die abstrakte Richtung vertreten.
Alle schweizerischen oder in der Schweiz niedergelassenen Bildhauer waren berechtigt, ihre Werke einzusenden. Sechzehn von ihnen, in gleicher Anzahl figurativer und abstrakter Richtung, erhielten von der Jury persönliche Einladungen; ihre Sendungen mussten sich aber ebenfalls der Beurteilung durch diese Jury unterziehen. Auf diese Weise kamen in Biel aus der Hand von über hundert Künstlern, 130 Tonnen Skulpturenzusammen, woraus die Jury 129 Werke von 64 Künstlern wählte.
Bei diesem Querschnitt durch die heutige Skulptur in der Schweiz handelt es sich um Monumental-Skulptur; das Reglement bestimmte, dass Werke, die mit ihrem grössten Durchmesser unter sechzig Zentimetern blieben, vom Wettbewerb ausgeschlossen waren. Infolgedessen fehlen Büsten und Statuetten fast vollkommen.
Mit der Monumentalskulptur stellt sich notwendigerweise das Problem der Einfügung der Künste in ein Ganzes: die vom Künstler entworfenen Formen müssen mit derArchitektur harmonieren. Ein Kunstwerk muss seiner Bestimmung entsprechend geschaffen sein, ein anderer Geist weht aus der Kathedrale von Reims als aus einem nüchternen Betonbau unserer Zeit. Der Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts will und muss ein Kind seiner Zeit sein, er soll Neues zu sagen haben und kann sich nicht einem Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts vergleichen. Das Vorwiegen der nicht-figurativen Formen in unserer Ausstellung ist daher nicht verwunderlich, denn die abstrakte Kunst ist für unsere Zeit charakteristisch und ergänzt unsere Architektur.
Unterdessen ist die abstrakte Kunst auch Mode geworden.
Sie steht aber nicht allein im heutigen Geschehen; ist nicht das allein gültige Ausdrucksmittel: auch die figurative Skulptur bemüht sich, neue Wege zu gehen und bleibt so aktuell. Mehrere der eingesandten Werke sind beredte Zeugen dieses Geistes.
Nun möchten wir das Wort dem Besucher erteilen, Fachleute und Laien mögen es ergreifen, aus der Diskussion werden sich Pro- und Kontra-Stimmen erheben. Wer bereit ist, über die heutige Kunst zu lächeln, möge verweilen und seine Augen öffnen. Er wird sich bewusst werden, dass die modernen Skulpturen eine Wahrheit enthalten, die ein jeder von uns neu für sich erobern muss.
Das Anliegen der modernen Bildhauerei ist die Suche nach der absoluten Wahrheit - ein wohl unerreichbares ideal. Die Wirklichkeit aber ändert ihr Gesicht in jeder Generation, und so muss die Kunst dem Leben in seinem fortwährenden Werden folgen.Vom Betrachter wird verlangt, sich in der ständig erneuerten Interpretation des Weltbildeszurechtzufinden, und wenn er konformistischen Geistes ist, so läuft die dazu notwendige Unvoreingenommenheit und Anstrengung des Mitfühlens seiner Natur zuwider.
ln nur vier Jahren ist eine beträchtliche Anzahl von Monumentalwerken durch die Künstler eines so kleinen Landes geschaffen worden ein kategorisches Dementi an jene, die die Agonie der Skulptur voraussagten. im Gegenteil, sie ist reich an künstlerischer Inspiration. Viele von unseren Künstlern verdienen unsere Aufmerksamkeit, einige haben internationalen Ruf. Unsere Ausstellung möchte dazu beitragen, der zeitgenössischen Kunst den Platz zu geben, der ihr zukommt, und der ihr allzu oft noch streitig gemacht wird von der Kunst vergangener Zeiten.
Dr. Marcel Joray
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